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JP LEGAL UPDATE 12 | 2022 PROCUREMENT

Steigende Inflationsraten: Sind Preisanpassungen bei bestehenden Verträgen der öffentlichen Hand vergaberechtlich zulässig?

von Mag. Nadia Kuzmanov

Die Energiekrise und die unerwartet hohe Inflation bringen die Wirtschaft in Bedrängnis und fordern die öffentliche Hand. Bei bestehenden Verträgen wird insb die zivilrechtliche Kostentragung bei unvorhergesehenen (Material-)Preissteigerungen heiß diskutiert. Wird jedoch eine neue Aufteilung finanzieller Risiken im Wege der sog Wertsicherung bzw Indexierung beabsichtigt, stellt sich auch die Frage nach der vergaberechtlichen Zulässigkeit einer derartigen Vertragsänderung. Vielfach sind bereits vereinbarte Indexierungsklauseln anzupassen, vorgesehene wertmäßigen Beschränkungen aufzuheben oder der Beginn der Wertanpassung früher anzusetzen.

Öffentliche Auftraggeber sind jedoch nur ausnahmsweise, unter engen gesetzlichen Voraussetzungen berechtigt, bestehende Verträge ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens nachträglich zu ändern. Während die sog „unwesentlichen“ Vertragsänderungen vergabefrei zulässig sind, erfordern wesentliche Änderungen, die zu einem erheblichen Unterschied im Vergleich zum ursprünglichen Vertrag führen, zwingend ein neues Vergabeverfahren.


1. Vergaberechtliche Prüfung

Unter den taxativ festgelegten unwesentlichen Vertragsänderungen des § 365 Abs 3 BVergG bietet die sog „geringfügige“ Änderung am ehesten eine rechtssichere Lösung für die Einführung bzw Änderung von Preisanpassungsklauseln. Werden jedoch die dort geforderten Grenzen (10 % des ursprünglichen Auftragsvolumens bei Liefer- od DL bzw 15 % bei Bauleistungen sowie der jeweils geltende Schwellenwert) allenfalls auf Grund der vorgesehenen Kumulation überschritten, kommt die unvorhergesehene Vertragsänderung in Betracht. Die Anwendung dieser Ausnahme setzt voraus, dass die Vertragsänderung für die Leistungserbringung erforderlich oder zumindest zweckmäßig sein muss. Da die vergaberechtliche Prüfung und die Verpflichtung zur Ausschreibung ausschließlich dem AG obliegen, sollte auch die geforderte Zweckmäßigkeit aus seiner Sicht gegeben sein, was im Hinblick auf die Erhöhung der Vergütung insb bei einer klaren vertraglichen Zuordnung finanzieller Risiken zur Sphäre des AN fraglich erscheint.

Als letzten Schritt ist zu prüfen, ob die Änderung nicht „unabhängig von ihrem Wert“ als unwesentlich iSd § 365 Abs 3 Z 4 BVergG zu qualifizieren ist, weil sie keinen der Wesentlichkeitstatbestände iSd Abs 1 und Abs 2 erfüllt.

Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit vergabefreier Vertragsanpassungen gem § 365 Abs 1 BVergG ist, dass sie nicht zu einem Vertrag führen, der sich erheblich vom ursprünglichen Vertrag unterscheidet, was bei einer Wertanpassung anzunehmen sein wird.

Laut Abs 2 ist eine Vertragsänderung ua dann jedenfalls wesentlich, wenn sie
• wettbewerbsrelevant ist
• das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages zugunsten des Auftragnehmers verändert
• ehebliche Ausweitungen od Verringerungen des Vertragsumfanges begründet.
Da die Auffangklausel eine Negativabgrenzung zu Abs 1 und 2 darstellt, kann der Änderungswert – trotz der gesetzlichen Bezeichnung - nicht gänzlich außer Betracht bleiben.

Geht man davon aus, dass Preisindexierungsklauseln der Wertsicherung dienen, führt ihre Einführung bzw Anpassung wohl nicht zu einer Änderung des Bieterkreises bzw zur theoretischen Annahme eines anderen Angebotes. Das Gleichgewicht des Vertrages wird grds nicht zugunsten des Auftragnehmers geändert, weil nicht nur die Vergütung, sondern auch der aktuelle Wert der Leistung steigt. Dagegen kann argumentiert werden, dass der Leistungswert auch ohne Preisanpassung gestiegen wäre. Bezieht man sich allerdings auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (Zuschlagserteilung) bleibt das Gleichgewicht des Vertrages erhalten. Im Hinblick auf die erhebliche Ausweitung des Vertragsumfanges ist auf die Ergebnisse der im Einzelfall durchzuführenden Prüfung zu verweisen. Je nachdem welche Indizes herangezogen werden, können Preisanpassungen uU auch erhebliche Änderungen begründen.

2. Judikatur
Der EuGH hat bereits 2013 die Änderung der Aufteilung des finanziellen Risikos für gewisse Teile des Projekts und die Kostenübernahme für die öffentlichen Bereiche als unwesentliche Änderungen iSd Vergaberechts qualifiziert. (EuGH 11.7.2013, C-576/10) Andererseits hat er „nicht ausgeschlossen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Transparenzgebot einer Preisanpassung nach der Vergabe des öffentlichen Auftrags entgegenstehen“, weil der Preis als Zuschlagskriterium eine besondere Wettbewerbsrelevanz hat. (EuGH 19.4.2018 C-152/17, Rz 30) Der VwGH hat hingegen die nachträgliche erstmalige Einführung einer Preisanpassung entsprechend dem Verbraucherpreisindex als unwesentlich bezeichnet. (19.6.2020, Ra 2017/04/0125-8) Obwohl sich diese Entscheidungen auf die Rechtslage vor Erlassung des BVergG beziehen, spiegeln sie die Bandbreite aktuell möglicher rechtlichen Beurteilungen wieder.

3. Schlussfolgerung

Vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtslage ist festzuhalten, dass die vergaberechtliche Zulässigkeit der nachträglichen Einführung bzw Anpassung von Indexierungsklauseln im Einzelfall zu beurteilen ist. Rechtssicherheit besteht lediglich im Rahmen der Geringfügigkeitsgrenzen, wobei hier der kumulierte Wert sämtlicher Änderungen heranzuziehen ist. Obwohl das Ergebnis der gebotenen Einzelfallprüfung nicht vorweggenommen werden kann, liegen gute Gründe vor, davon auszugehen, dass die Preisanpassung entsprechend dem VPI insb aufgrund ihres Umfanges aus derzeitiger Sicht grds keine wesentliche Vertragsänderung darstellt. Werden jedoch andere Indizes (bspw für den Baubereich) herangezogen, kann der Vergleich mit dem ursprünglichen Auftrag sehr wohl zu einer erheblichen Vertragsänderung führen und die Ausschreibungsverpflichtung des Auftraggebers nach sich ziehen.

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