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Tod des Kopiloten ist kein außergewöhnlicher Umstand

Mag. Georg Schwarzmann

In seinem Urteil vom 11.05.2023 zu C-156/22 bis C-158/22 setzte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens mit der Frage auseinander, ob die plötzliche Dienstunfähigkeit eines für die Flugdurchführung unbedingt erforderlichen Besatzungsmitglieds als außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung zu qualifizieren ist und die Airline somit von der Verpflichtung zur Ausgleichsleistung befreit. Im Ausgangssachverhalt musste ein Flug der TAP Portugal von Stuttgart nach Lissabon kurzfristig annulliert werden, weil der Kopilot rund zwei Stunden vor dem planmäßigen Abflug tot in seinem Hotelbett aufgefunden wurde. Aufgrund dieses Ereignisses meldete sich die gesamte Besatzung fluguntauglich. Eine Ersatzcrew stand dem portugiesischen Luftfahrtunternehmen in Stuttgart nicht zur Verfügung. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass der Kopilot alle medizinischen Checks stets ohne Einschränkungen bestanden hatte und somit völlig unerwartet verstarb.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Vorkommnisse als außergewöhnliche Umstände anzusehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sind und von diesem auch nicht beherrscht werden können. Beide Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein, um einen außergewöhnlichen Umstand zu begründen.
Der EuGH gelangt sodann zu der nicht unumstrittenen Einschätzung, dass unerwartete Abwesenheiten von für die Flugdurchführung unverzichtbaren Besatzungsmitgliedern dem gewöhnlichen Betrieb zuzurechnen sind. Dabei sei aus rechtlicher Perspektive irrelevant, ob die Abwesenheit auf einer Erkrankung oder dem Tod eines Besatzungsmitglieds beruhe. Mangels eines außergewöhnlichen Umstands ist das Luftfahrtunternehmen daher im gegenständlichen Fall zur Erbringung der Ausgleichsleistung an die betroffenen Passagiere verpflichtet.

Die Entscheidung des Gerichtshofs und insbesondere die damit verbundenen Konsequenzen sind in mehrerlei Hinsicht kritisch zu hinterfragen. Zum einen werden die Luftfahrtunternehmen implizit angehalten, an sämtlichen Destinationen Ersatzpersonal bereitzuhalten. Dies ist jedoch wirtschaftlich nicht umsetzbar und würde sich in enormen Flugpreissteigerungen widerspiegeln. Zum anderen übersieht der EuGH das vorrangige Ziel der Fluggastrechteverordnung, den Schutz der Fluggäste zu gewährleisten, worunter auch die körperliche Unversehrtheit und damit einhergehend eine sichere Flugdurchführung zu subsumieren sind. Die gegenständliche Entscheidung erhöht jedoch den Druck auf das Besatzungspersonal, den Dienst trotz gesundheitlicher Beschwerden oder psychischer Ausnahmesituationen anzutreten und steht somit der Gewährung höchstmöglicher Sicherheitsstandards entgegen.

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