Bereits im Urteil zur Rechtssache Krüsemann (siehe Blogbeitrag) hat sich der EuGH mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein zu Annullierungen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten im Luftverkehr führender Streik als außergewöhnlicher Umstand gemäß der VO (EG) 261/2004 zu qualifizieren ist und Luftfahrtunternehmen folglich von der Verpflichtung zur Ausgleichsleistung befreit. Die äußerst kasuistische Entscheidung warf jedoch mehr Fragen auf als sie beantwortete, weshalb es nicht überrascht, dass sich der Gerichtshof nun abermals mit einem ähnlich gelagerten Sachverhalt zu befassen hatte. Vorab sei festgehalten, dass das aktuelle Urteil – wenn auch im Ergebnis fragwürdig – über den konkreten Einzelfall hinaus Klarheit schafft.
Im vorliegenden Fall wurde ein Inlandsflug des Luftfahrtunternehmens SAS von Malmö nach Stockholm aufgrund eines gesetzeskonformen Pilotenstreiks in Zusammenhang mit Tarifvertragsverhandlungen annulliert. Die beklagte Airline brachte vor, dass der Streik insbesondere aufgrund der überzogenen Gehaltsforderungen des streikenden Personals nicht beherrscht werden konnte und der gleichzeitige Streikaufruf von vier Gewerkschaften keinesfalls Teil der normalen Ausübung ihrer Tätigkeit sei.
Dem hielt der EuGH entgegen, dass ein Konflikt eines Luftfahrtunternehmens mit seinen Mitarbeitern über Arbeits- und Entlohnungsbedingungen nicht ungewöhnlich sei. Daher handelt es sich bei einem Streik, dessen Ziel sich darauf beschränkt eine Gehaltserhöhung für die Piloten, eine Änderung der Arbeitszeiten sowie eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeiten durchzusetzen um ein Vorkommnis, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Unternehmens ist. Das gilt nach Ansicht des Gerichtshofs umso mehr, als der Streik unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen organisiert wurde. Weiters kam der EuGH zu dem Schluss, dass der Streik für das Luftfahrtunternehmen vorhersehbar war, sodass die Ereignisse zumindest zu einem gewissen Grad beherrschbar blieben. Die rechtliche Befugnis eine Einigung mit dem streikenden Personal zu erzielen indiziert die Beherrschbarkeit nach dieser Auffassung selbst dann, wenn die Forderungen der Streikenden unangemessen sind oder diese einen Schlichtungsvorschlag ablehnen.
Im Ergebnis hält der EuGH fest, dass ausschließlich unternehmensexterne Streiks geeignet sind außergewöhnliche Umstände darzustellen. Wenn der Unionsgesetzgeber im 14. Erwägungsgrund der Fluggastrechteverordnung angibt, dass Streiks als außergewöhnliche Umstände qualifiziert werden können, wollte er auf die außerhalb des betroffenen Luftfahrtunternehmens liegenden Streiks Bezug nehmen. Ob eine derart strikte Differenzierung zwischen internen und externen Streiks ohne Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls tatsächlich der Intention des Gesetzgebers entspricht bleibt – trotz der klaren und nunmehr bindenden Rechtsansicht des EuGH – zu bezweifeln. Zukünftig sind ausschließlich unternehmensexterne Streiks, wie Streikmaßnahmen von Fluglotsen oder des Flughafenpersonals, geeignet, Luftfahrtunternehmen von ihrer Verpflichtung zur Ausgleichsleistung zu entbinden.