Internationale Beförderung als Anwendungsvoraussetzung des Montrealer Übereinkommens

Im Wege der Vorabentscheidung wurde der EuGH zur Auslegung von Art 17 Abs 1 und Art 1 und 2 Abs 1 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr („Übereinkommen von Montreal“) sowie von Art 3 lit g der Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates Nr 785/2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber („Verordnung Nr 785/2004“) vom Bezirksgericht Prešov, Slowakei angerufen. Sowohl das Übereinkommen von Montreal als auch die Verordnung Nr 785/2004 betreffend kommt dem EuGH ein Auslegungsmonopol zu.

 

Der EuGH entschied am 16.11.2023, dass die oben genannten Rechtsgrundlagen keinen Anspruch auf Entschädigung zugunsten der Rechtsnachfolger einer Person begründen, die bei ihrer Teilnahme an einer spezialisierten Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes in der Militärzone eines Flughafens durch den Absturz eines vom Polizeidienst betriebenen Hubschraubers ums Leben kam.

In Zusammenhang mit der von der Slowakischen Regierung behaupteten Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass einem Geist der Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten und dem Gerichtshof entsprechend die Unvollständigkeit bestimmter Angaben zum anwendbaren nationalen Recht nicht automatisch zu einer Unzulässigkeit der Vorabentscheidungsvorlage führe und bejaht die Zulässigkeit.

Mit der Frage ob eine Person, die im Rahmen einer unentgeltlichen Beförderung durch den Staat als auszubildendes Mitglied einer Feuerwehreinheit an dem Windenseil eines Hubschraubers hängt als Fluggast oder Kabinenbesatzungsmitglied einzuordnen ist, setzte sich der EuGH nicht auseinander, da eine Entschädigung aufgrund der genannten Rechtsgrundlagen ihm zufolge bereits an dem Vorliegen einer „internationalen Beförderung“, einer „Beförderung, die der Staat ausführt“ oder einer „Beförderung im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats“ scheitert.

Dies begründet der Gerichtshof damit, dass Art 1 Abs 1 und 2 sowie Art 2 Abs 1 des Übereinkommens von Montreal eine „nach den Vereinbarungen der Parteien vorgenommene Beförderung von Personen, Reisegepäck oder Gütern durch Luftfahrzeuge von einem Abgangsort zu einem anderen Bestimmungsort“ voraussetzt. Dieses Anwendungskriterium sieht der EuGH im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil der Zweck des Einsatzes mit dem Hubschrauber nicht in einer Beförderung von Personen, Reisegepäck oder Gütern lag, sondern in der Durchführung einer spezialisierten Ausbildung, die in Form eines Hochziehens mit der Seilwinde in der Militärzone des gleichen Flughafens erfolgte. Auf die zweite und dritte Frage war daher vom EuGH nicht mehr einzugehen, da eine Einordnung als Fluggast oder Kabinenbesatzungsmitglied durch die fehlende Beförderungseigenschaft hinfällig wurde. Sohin ist der Anwendungsbereich des Übereinkommens von Montreal nicht eröffnet und ein Anspruch auf Entschädigung kann nicht begründet werden.

Die erste Frage betraf die Auslegung des Art 3 lit g der Verordnung Nr 785/2004 und beschäftigte sich abermals mit der möglichen Einordnung der betroffenen Person als Fluggast. Als „Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Verordnung gelten per definitionem „Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung“. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs im vorliegenden Fall wäre also zunächst denkbar. In Art 2 Abs 2 lit a werden jedoch „Staatsluftfahrzeuge“, die in Art 3 lit b des Abkommens von Chicago als solche definiert sind, die „im Militär-, Zoll- und Polizeidienst verwendet werden“, vom Anwendungsbereich ausgenommen. Nun findet sich in der Formulierung der ersten Vorlagefrage bereits der Verweis auf eine Nutzung des Hubschraubers im staatlichen Polizeidienst, wodurch eine Subsumtion des konkreten Luftfahrzeuges unter Art 3 lit b ohne Zweifel ausgeschlossen werden kann.

Der EuGH hält in seinem Urteil abschließend fest, dass somit auch aus der Verordnung Nr 785/2004 kein Anspruch auf Entschädigung zugunsten der Rechtsnachfolger abgeleitet werden kann. Die finale Beurteilung des Falles – unter Berücksichtigung der vom EuGH vertretene Rechtsauffassung – obliegt dem Bezirksgericht Prešov, Slowakei.

(EuGH 16.11.2023, Rs C-283/22, Ministerstvo vnútra Slovenskej republiky)

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