Kürzlich veröffentlichte der EuGH die Schlussanträge der Generalanwältin Laila Medina in der Rechtssache C-58/24 NE, MY, … gegen An Bord Pleanála. In dem vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren, eingeleitet durch das High Court Irland, hatte sich der EuGH mit der Auslegung des Art 11 der UVP-Richtlinie und des Art 16 Abs 1 der Habitat-Richtlinie auseinanderzusetzen.
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine sog Ausnahmebewilligung (nach irischer Diktion im Ausgangsstreit: Abweichungsbewilligung) für den Bau von Wohneinheiten im ehemaligen Karmeliterkloster in Delgany (Irland), welches eine große Kolonie einer, durch die Habitat-Richtlinie geschützten, Fledermausart beheimatet. Im Weiteren wurde diese Abweichungsbewilligung angefochten, jedoch erst gleichzeitig mit der Entscheidung über die Projektgenehmigung und damit außerhalb der nach irischem Recht vorgesehenen Frist. Das zur Entscheidung berufene High Court Irland rief daraufhin den EuGH mit der Frage an, ob eine nationale Verfahrensregel über unterschiedliche Fristen für die Anfechtung der Gültigkeit einer erteilten Abweichungsbewilligung einerseits und einer Projektgenehmigung andererseits mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Im Detail war zu beurteilen, ob die Abweichungsbewilligung als Teil des Genehmigungsverfahrens anzusehen ist und ob die Frist für die Anfechtung der Abweichungsbewilligung vor dem Datum der Entscheidung der Baugenehmigung enden kann. Auch materiellrechtliche Fragen zum Verfahren der Abweichungsbewilligung waren zu bearbeiten.
Die Generalanwältin zitiert in ihren Schlussanträgen zunächst das Urteil Namur-Est Environment, in dem der EuGH festhält, dass eine Abweichungsbewilligung eine vorgeschaltete Entscheidung darstellt, die dann einen Teil des Projektgenehmigungsverfahrens bildet, wenn die Durchführung des Projekts nicht ohne diese Entscheidung erfolgen kann. Laut GA Medina ist diese Hauptaussage aus der Rs Namur-Est Environment auch im vorliegenden Fall einschlägig, weshalb die Abweichungsbewilligung einen Teil des Genehmigungsverfahrens darstelle.
Weiters war festzustellen, ob die Mitgliedstaaten in Ausübung ihres Entscheidungsspielraums bestimmen können, dass die Bewilligung bereits vor Ablauf der für die Anfechtung der Genehmigungsentscheidung geltenden Frist angefochten werden muss. Hierzu hielt GA Medina fest, dass die nationalen Regeln der MS das Ziel der UVP-RL, nämlich die Ermöglichung effektiver Öffentlichkeitsbeteiligung, und den Grundsatz der Effektivität nicht beeinträchtigen dürfen und die kürzere Frist somit nicht unionsrechtskonform sei. Begründend führt sie aus, dass die Abweichungsbewilligung ihre volle Rechtswirkung erst mit Erlass der abschließenden behördlichen Entscheidung entfalte, da das Projekt erst zu diesem Zeitpunkt realisierbar sei und praktische Auswirkungen zeige.
Weiters legte das Gericht dem EuGH die Frage vor, welche Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichungsbewilligung erfüllt sein müssen. Genauer geht es vor allem darum, ob eine effektive Prüfung von alternativen Lösungen notwendig ist und inwieweit der Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen sowie der Erhalt natürlicher Lebensräume als Motiv für die Bewilligung begründet werden muss. Auch hier verweist die GA auf die ständige Rsp des EuGH die deutlich macht, dass jedenfalls geprüft werden muss, ob das mit der Abweichung verfolgte Ziel nicht durch eine anderweitig zufriedenstellende Lösung erreicht werden kann, was im konkreten Fall nicht erfolgt ist. Zur Begründungspflicht: hier betont Medina das Ziel der Regelung, nämlich, dass die Öffentlichkeit die Gründe für die Entscheidung der Behörde nachvollziehen kann. Die Erreichung dieses Ziels setzt konsequenterweise voraus, dass dargelegt wird, wie die konkrete Abweichungsbewilligung zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen beiträgt.
Die zentralen Aussagen sind sohin, dass die Frist zur Anfechtung einer Abweichungsbewilligung, wenn diese Teil des Genehmigungsverfahrens ist, nicht vor der Entscheidung über die Projektgenehmigung enden darf und dass sowohl die Prüfung von anderweitig zufriedenstellenden Lösungen als auch die Begründungspflicht im Zuge der Abweichungsbewilligung nicht entbehrlich sind. Abzuwarten bleibt nun, ob der EuGH, wie er dies in einem Gros der Fälle tut, den Schlussanträgen der Generalanwältin folgen wird.

