Wegweisende VfGH-Entscheidung: Art 20 Abs 1 B-VG und die Privatwirtschaftsverwaltung

Art 20 B-VG gilt als grundlegendes Element der österreichischen Verfassung und umfasst sowohl das demokratische Prinzip als auch das Gewaltenteilungsprinzip. Er konstituiert die Verwaltung als hierarchische Organisation von vorgesetzten und nachgeordneten Organen und sichert damit auch die Letztverantwortung der obersten Verwaltungsorgane. Zudem legt er verfassungsrechtliche Grenzen fest, wie beispielsweise die Grundrechte sowie das Gebot der Sachlichkeit und Effizienz. Durch die von Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH erwirkte Entscheidung des VfGH vom 5.10.2023, G265/2022, hat der VfGH zum ersten Mal präzisiert, welche Grenzen Art 20 B-VG in der Privatwirtschaftsverwaltung für nicht hoheitlich handelnde juristische Personen des Privatrechts aufweist. Der VfGH hat Kriterien definiert, bei deren Vorliegen es sich um staatliche Verwaltung im funktionellen Sinn handelt, und schließlich bei Vorliegen der Kriterien die verfassungsrechtlichen Anforderungen beleuchtet und geprüft.

 

Ausgangspunkt des Verfahrens war die Klage eines von der Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH vertretenen Unternehmens, das mittelbar im alleinigen Eigentum der Stadt Wien steht. Aufgrund dieser Gesellschafterstellung ist das Unternehmen generell von der Gewährung eines Fixkostenzuschusses ausgeschlossen. Über den Umweg einer Klage beim Handelsgericht Wien wurde der VfGH mittels Gesetzesbeschwerde angerufen, um verfassungswidrige Bestimmungen des ABBAG-Gesetzes und gesetzeswidrige Vorschriften der Richtlinien zum Fixkostenzuschuss aufheben zu lassen. Der VfGH beschloss daraufhin im Herbst 2022 mehrere Bestimmungen des ABBAG-Gesetzes von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Er hegte Bedenken insbesondere im Hinblick auf die Art und Weise der Ausgliederung der COFAG aus der öffentlichen Verwaltung und Kontrolle.

Der Gerichtshof stellte klar, dass in manchen Konstellationen die Privatwirtschaftsverwaltung der Hoheitsverwaltung gleichwertig ist. Die übertragene Tätigkeit gilt nämlich als staatliche Verwaltung im Sinne des Art 20 Abs 1 B-VG dann, wenn:

  • der ausgegliederte Rechtsträger eine organisatorische Nahebeziehung zum Staat hat (dies liegt dann vor, wenn eine Gebietskörperschaft alleine oder mehrheitlich an dem Rechtsträger beteiligt ist, oder sonst einen vergleichbaren beherrschenden Einfluss hat),
  • ein Aufgabenübertragungszusammenhang (als eine spezifische funktionelle Nahebeziehung) zum Staat besteht und
  • der betraute Rechtsträger nicht als weiteres Wirtschaftssubjekt im Wirtschaftsverkehr der Privaten untereinander am Markt unter Wettbewerbsbedingungen auftritt (Ausschlussvoraussetzung).

Der Gesetzgeber ist bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet gegenüber dem betrauten Rechtsträger den Leitungszusammenhang herzustellen, den Art 20 Abs 1 und Abs 2 B-VG vorgeben.

Der VfGH subsumierte die auf die COFAG ausgegliederten Aufgaben unter den herausgearbeiteten Punkten, um festzustellen, ob sie staatliche Verwaltung iSd Art 20 B-VG darstellen. Die organisatorische Nahebeziehung der COFAG zum Staat liege vor, da die COFAG aufgrund der Beteiligungsstruktur im alleinigen Einflussbereich des Bundes stehe. Auch das Vorliegen der funktionellen Nahebeziehung zum Staat konnte der VfGH bejahen: der Unternehmensgegenstand der COFAG, die Förderung von Unternehmen, um Insolvenz und Liquiditätsschwierigkeiten infolge der COVID-19-Pandemie zu vermeiden, deute auf funktionelles Naheverhältnis zum Staat hin. Dieses funktionelle Naheverhältnis sei zudem bereits durch das Erkenntnis VfSlg 20.397/2020 hervorgehoben worden, da die finanziellen Maßnahmen zum Teil als funktionelles Äquivalent zu den hoheitlich zu vollziehenden Entschädigungsregelungen ausgestaltet waren. Schließlich liege auch die Ausschlussvoraussetzung vor, da die COFAG nicht als weiteres Wirtschaftssubjekt am Markt auftrete. Die auf COFAG übertragene Tätigkeit sei somit staatliche Verwaltung iSd Art 20 B-VG gewesen.

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund waren die Bestimmungen des ABBAG-G zu prüfen. Der VfGH kam zu dem Ergebnis, dass die Ausgliederung auf COFAG gegen das Sachlichkeits- und Effizienzgebot verstieß und hob zentrale Bestimmungen des ABBAG-G auf, insbesondere die Gründung, die Bestimmung des Unternehmensgegenstandes der COFAG und die Aufgabenübertragung auf die COFAG. Dies mit der Begründung, die COFAG habe nicht über die notwendige personelle und sachliche Ausstattung außerhalb der staatlichen Finanzverwaltung verfügt, um eine Ausgliederung aus der Finanzverwaltung zu rechtfertigen.

Die nach Art 20 B-VG erforderlichen Leitungs- und Weisungsbefugnisse des obersten Verwaltungsorgans hingegen erwiesen sich trotz der noch im Einleitungsbeschluss erhobenen massiven Bedenken überraschenderweise doch als verfassungskonform. Obwohl der zuständige BMF die Befugnisse nur indirekt, also nur über die zwischengeschaltete Gesellschaft ABBAG, ausüben konnte, gelang der VfGH zum Schluss, dass sie auf privatrechtlicher Basis ausreichend gestaltet waren. Die in den Verordnungen normierte Weisungsfreiheit der Organe der COFAG hob der VfGH hingegen als gesetzeswidrig auf.

Richtungsweisend war die Prüfung der Formulierung, wonach der Rechtsanspruch auf Förderung ausgeschlossen werde, auf ihre Verfassungsmäßigkeit. Derartige Formulierungen finden sich häufig in Fördergesetzen und wurden von der Bundesregierung so verstanden, dass damit nur klargestellt werde, es handle sich um Privatwirtschaftsverwaltung: es bestehe kein Rechtsanspruch auf die Ausfolgung eines Bescheides und die Gewährung von Förderungen nach dem ABBAG-G erfolge nicht hoheitlich. Der VfGH teilte die von der Bundesregierung vertretene Auffassung nicht und wies darauf hin, dass die Leistungen der COFAG als funktionelles Äquivalent zu Schädigungsleistungen anzusehen seien. Insofern eröffne die Bestimmung im ABBAG-G der funktionell staatlichen Verwaltung Spielraum zur Willkür, verstöße eindeutig gegen das Sachlichkeitsgebot und war daher aufzuheben gewesen.

Nicht für verfassungswidrig erachtete der VfGH den Ausschluss staatsnaher Unternehmen von der Gewährung von Förderungen. Der Ausnahmetatbestand sei nicht gleichheitswidrig, es stehe dem Rechtsträger frei „seine“ Unternehmen von der Gewährung von finanziellen Maßnahmen auszuschließen. Eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung gebe es nicht.

VfGH vom 5.10.2023, G 265/2022-45

VfGH vom 5.10.2023, V-139/2022, G-108/2022

VfGH vom 5.10.2023, V-236/2022 ua

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